So retten wir unsere Rehkitze mit moderner Drohnen-Technik

    Kaum ein Jungtier ist so süss wie das Rehkitz. Tausende von ihnen fielen früher in dieser Jahreszeit Mähmaschinen zum Opfer. Viele können heute gerettet werden – dank moderner Drohnen-Technik. Ich durfte bei einer frühmorgendlichen Rettungsaktion dabei sein. 

    Pilotin Yvonne Lüthard (Zweite v.l.) lässt die Drohne fliegen. Autor Philipp Gut (l.) und das Team warten gespannt auf das Resultat.

    Die Einsätze beginnen in aller Herrgottsfrühe, manchmal schon um 2 oder 3 Uhr, wenn die Nacht noch schwarz ist. Dank der modernen Technik können die Rehkitze nämlich auch bei Dunkelheit aufgespürt werden: Mit Drohnen, die mit hochsensiblen Wärmebildkameras ausgestattet sind. Auf Einladung des St. Galler Jägervereins Hubertus und ihres Präsidenten Peter Weigelt durfte ich bei einer Rehkitz-Rettung dabei sein. Weigelt und seine Kolleginnen und Kollegen, darunter ausgebildete Drohnenpiloten, sind im Mai und Juni fast täglich frühmorgens unterwegs. 

    (Bilder: zVg) Rehkitze rennen nicht weg.

    Duckinstinkt als Gefahr
    Wir treffen uns in Bernhardzell und fahren sofort zur ersten Wiese. Das Feld ist zuvor genauestens vermessen worden, und es wurde ein Flugplan erstellt. Drohnenpilotin Yvonne Lüthard lässt die Drohne aufsteigen und sucht das Feld systematisch ab. Auf dem Bildschirm erscheint ein kleiner heller Punkt. Ein Kitz? Jäger Oskar Trunz wird von ihr per Funk vorsichtig an den Ort gelotst. Ich darf ihn begleiten, das hohe Gras kommt zum Teil bis zu den Hüften. Es ist schwierig, Rehkitze mit blossem Auge überhaupt zu finden. Sie sind klein und ducken sich flach auf den Boden, man nennt das «Duckinstinkt». Der Fluchtinstinkt entwickelt sich erst später. Auch für Füchse und andere Feinde sind die Rehkitze schwer aufspürbar. Denn sie haben kaum einen Körpergeruch. Auch können sie ganz schwach und leise atmen. 

    Ihre Taktik, sich so praktisch unsichtbar zu machen, geht in der Natur auf. Sie ist aber zugleich eine lebensbedrohliche Gefahr, wenn die Landwirte mit ihren Mähmaschinen auffahren. Für die Fahrer sind die Kitze nicht zu erkennen. Umso wichtiger ist die Rehkitzrettung, die auf Initiative der Jagdgesellschaften entstanden ist. Die Bauern arbeiten heute sehr gut und eng mit den Rettungsteams zusammen. 

    Jäger Oskar Trunz verlangsamt nun den Schritt. Das Kitz muss ganz in der Nähe sein. Über Funk erhält er die Anweisung, dass es nun unmittelbar vor ihm liegt. Er drückt das Gras vorsichtig auf die Seite – und findet einen Schachtdeckel. Fehlalarm. «Wir suchen lieber einmal mehr, auch wenn man nicht sicher ist, ob es sich um ein Kitz handelt», erklärt Trunz. Yvonne Lüthard lässt die Drohne weiter über das Feld fliegen. Es ist leer. 

    Über 8000 Rehkitze gerettet
    Rasch packt das Rettungsteam das Material ein. Wir fahren los zum nächsten Feld, es liegt leicht abschüssig an einem Waldrand. Während wir im hohen, feuchten Gras waten, wird es hell. Weit unten sieht man den Bodensee in der Morgensonne glänzen. Eine traumhafte Landschaft. Oskar Trunz erzählt unterwegs, welch aufwändige Organisation es braucht, damit alles funktioniert. Am Anfang haben fünfzehn Bauern mitgemacht, heute sind alle 33 Landwirtschaftsbetriebe des Ortes dabei.

    Dank der Rehkitzrettung können schweizweit jedes Jahr Tausende von Jungtieren vor einem grausamen Tod bewahrt werden. «Die Rehkitzrettung mit Thermalkamera und Multikopter in der Luft ist die sicherste Methode, um Rehkitze vor Mähmaschinen zu retten. In den letzten Jahren konnten so in der Schweiz bereits über 8’157 Rehkitze gerettet werden», schreibt der Verein Rehkitzrettung Schweiz. 

    Die Drohne fliegt mit einem genauen Flugplan. Die Wärmebildkamera spürt die Kitze auf. Deren Felltemperatur beträgt 25 Grad.

    Vor uns liegt plötzlich ein wunderschönes Kitz
    Jetzt erhält Oskar Trunz die Anweisung, ein paar Schritte nach rechts zu gehen. Drei, zwei, eins – Stopp. Vor uns, perfekt versteckt im hohen Gras, liegt ein wunderschönes Kitz. Bambi in Echt. Oskar meldet, dass wir es gefunden haben. Wichtig sei, dass man das Kitz nicht mit blossen Händen anfasse. Das Reh nehme es dann nicht mehr an, und es sei durch seine verlorene Geruchlosigkeit auch nicht mehr so gut geschützt. 

    Nun kommt ein Kollege hinzu und bringt einen Harass. Er wird vorsichtig über das Kitz gelegt. Die Fundstelle wird mit einer gut sichtbaren orangen Flagge markiert. So sieht sie der Bauer, der über den Fund informiert wird und das Feld noch am selben Tag mähen wird, von Weitem. Das in Sicherheit gebrachte Kitz wird danach so rasch wie möglich wieder in die Freiheit entlassen. Meist wartet die Rehgeiss am Waldrand bereits auf ihr Junges. Ist es schon einige Tage alt, springt es selbst zum Wald. Benachrichtigen können sich Mutter und Kind durch das sogenannte Fiepen, hohe Töne, die weitherum hörbar sind. 

    Landwirtschaft und Tierschutz miteinbeziehen
    Die zweite Gruppe der lokalen Jagdgesellschaft, begleitet von Drohnenpilot Willi Schlegel von Rehkitzrettung Schweiz, hat allein an diesem Morgen fünf Kitze in Sicherheit gebracht. Im Kanton St. Gallen werden so jedes Jahr insgesamt rund 400 Rehkitze gerettet. Diese Bilanz sei sehr erfreulich, sagt Peter Weigelt, der Präsident des St. Galler Jägervereins Hubertus. Doch um alle relevanten Regionen mit Drohnensystemen auszustatten, brauche es einen finanziellen Aufwand von rund 150’000 Franken. Das könne nicht allein von der Jagd gestemmt werden. «Landwirtschaft und Tierschutz sind in diese Infrastrukturbeschaffung miteinzubeziehen», so Weigelt. 

    Wer wie ich das Glück hatte, bei einer Rehkitzrettung dabei zu sein, wird dem nur beipflichten. Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie mit moderner Technik Natur und Tieren geholfen werden kann. 

    Dr. Philipp Gut

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