Ungestillter Innovationsdurst

    Der Drang nach Neuem, getrieben durch die Startup-Metropole Tel Aviv, ist typisch für Israel. Innovation, Technologie und Unternehmertum gehören zur DNA des Landes. Das hat historische, strukturelle und gesellschaftliche Gründe. Auch Schweizer Unternehmen docken deshalb gerne in Israel an.

    (Bilder: Dreamstime) Ein Land, das niemals schläft – auch nicht bezüglich Entwicklungshunger.

    Beim Stichwort «Israel» denken wohl viele an politische oder religiöse Spannungen, an die aktuellen News oder an Jerusalem. Aber jene, die sich genauer mit Israel und der Gesellschaft vor Ort beschäftigen, werden das Land und insbesondere die Startup-Metropole Tel Aviv sofort mit Innovation, Technologie und Unternehmertum in Verbindung bringen. Israel ist, gemessen an der Bevölkerungszahl, im innovativen Sinne das dynamischste und erfolgreichste Land der Welt. Das ist nicht nur statistisch bewiesen.

    Schweizer Unternehmen wollen mitmischen
    An Israel andocken – das ist ein vielversprechendes Motto für Start-ups und innovative Unternehmen weltweit. Israel und die Schweiz holen sich in den Innovations-Rankings Lorbeeren ab und gehören zu den Topnationen, und speziell Schweizer Unternehmen arbeiten gerne und intensiv mit israelischen zusammen. Viele Schweizer Firmen suchen seit Jahren in Israel nach neuen Ideen. Die Post AG forscht zum Beispiel in Tel Aviv mit Lieferrobotern. Ob Migros, Post, Credit Suisse, SBB oder Lonza: Sie spüren in Israel Innovationen auf, für die das kleine Land im Nahen Osten berühmt geworden ist. Der Standort Israel hat sich als eine der ersten Adressen in der globalen Start-up-Szene etabliert.

    Nur im Silicon Valley gibt es pro Kopf der Bevölkerung mehr Jungunternehmen als in Tel Aviv. Erst kürzlich hat das Israelisch-Schweizerische Lean-Launchpad-Programm sechs ausgesuchte Jungunternehmen nach Israel geschickt, damit sie praxisorientierte Lernerfahrungen im Bereich Start-up-Business sammeln können.

    Die Schweiz geniesst auch im Bereich der Energie- und Umwelttechnik in Israel einen hervorragenden Ruf. Darüber hinaus besteht zwischen den Umweltschutzministerien beider Länder eine Zusammenarbeit, die unter anderem Fragen des Klimawandels und der Luftqualität betrifft. Diese Faktoren schaffen günstige Bedingungen für ausländische und somit auch Schweizer Anbieter von Umwelttechnik. Zu diesem Zweck fördert das israelische Wirtschaftsministerium Investitionen nicht nur in einheimische, sondern auch in ausländische Technologie.

    Boom für Nachhaltigkeitsprojekte
    Energie- und Umwelttechnik ist also ein sehr zentrales Thema. Israel hat sich diesbezüglich als Forschungszentrum für innovative Experimente hervorgetan. Legendär sind die besonders ausgeklügelten Entsalzungs- und Wasseraufbereitungsanlagen. Netafim ist hierbei zu einem globalen Marktführer geworden mit technologisch intelligent konzipierten Tropf- und Mikrobewässerungsanlagen für die Sicherung einer nachhaltigen Zukunft.

    Ein anderes Beispiel ist das Unternehmen Ormat: Es beschäftigt sich hauptsächlich mit Geothermie und sucht nach Quellen für erneuerbare Energie. Ormat entwirft, entwickelt, besitzt und betreibt weltweit Kraftwerke, die auf Geothermie und erneuerbarer Energie basieren und entwickelt Stromversorgungsaggregate und sonstige Energie-produktionsanlagen inklusive den damit verbundenen Dienstleistungen.
    Ebenfalls führend ist Israel bezüglich Elektromobilität. Das israelische Startup ElectRoad testet schon seit 2017 in Tel Aviv die erste Elektro-Strasse der Welt. Kupferleitungen im Asphalt sollen Elektroautos während der Fahrt aufladen. So bekommen die E-Fahrzeuge quasi eine unbegrenzte Reichweite. Ladestationen würden damit überflüssig. Ausserdem soll das System viel kleinere und leichtere Batterien ermöglichen. Es funktioniert mit induktiver Energieübertragung. Dazu sitzt an der Unterseite des Fahrzeugs ein Empfänger für die kontaktlose Versorgung mit Strom, der den Elektromotor antreibt.

    Auch in Sachen Entsalzungs- und Wasseraufbereitungsanlagen ist Israel innovativ und Weltspitze.

    Kernthemen Wasser und Photovoltaik
    Das Thema Wasser ist ein zentrales im Land: Prognosen zufolge wird der Wasserbedarf von 1170 Millionen Kubikmeter (2020) auf 1320 Millionen Kubikmeter im 2025 zunehmen. Neben Meerwasserentsalzung setzt Israel auf weiteren Ausbau der Abwasserreinigung, auch wenn es in diesem Bereich bereits mit grossem Abstand das modernste System weltweit betreibt. 2020 hat die Regierung zudem beschlossen, keine neuen Baugenehmigungen mehr für erdgasbetriebene Grosskraftwerke zu gewähren. Die Expansion der Stromerzeugung soll sich künftig fast ausschliesslich auf Photovoltaik stützen. Geht es nach dem Energieministerium, soll der Energieeinsatz je Einheit des Bruttoinlandsprodukts 2030 um 18 Prozent zurückgehen.

    Ein weiteres Standbein der Ressourcenpolitik ist die Reduktion der Treibhausemissionen. Das Programm hierzu richtet sich sowohl an Unternehmen als auch an Kommunen. Auch nimmt die Umwelt- und Cleantechabteilung des Wirtschaftsministeriums an einem Programm der von der Innovationsbehörde betriebenen Innovationslaboratorien teil. Das Innovationszentrum unterstützt Unternehmen bei der Forschung und Entwicklung zu Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit.

    Federführende Förderprogramme
    Die Startups – auch in vielen anderen Branchen – schiessen wie Pilze aus dem Boden. Der Staat setzt auch Förderprogramme auf, die geradezu die Risikobereitschaft für neue Entwicklungen herausfordert. Israels Gesellschaft ist sich gewohnt, ständig innovativ sein zu müssen, denn nur dies sichert mehr oder weniger die technologische und intellektuelle Vorreiterrolle im gesamten Nahen Osten. Diese ist zwingend, um sich vor der ständigen äusseren Bedrohung abzusichern.

    Es gibt dazu drei verschiedene Programme zur Förderung von Start-up-Unternehmen: das TNUFA-Programm (hebräisch für Momentum, Schwung) für Jungunternehmer/innen ist eines davon. TNUFA unterstützt Start-ups, die den Nachweis technologischer Durchführbarkeit und kommerzieller Realisierbarkeit ihrer Idee erbringen können.

    Das Incubator-Incentive-Programm für Start-up-Gründer forciert mit einem Zuschuss bis zu einem Höchstbetrag von 800 Millionen US-Dollar bei 15 Prozent notwendigem Eigenkapital neue Entwicklungen. Das Darlehen muss nur im Erfolgsfall zurückgezahlt werden. Damit werden auch riskante Projekte finanziell möglich. Scheitert das junge Unternehmen, trägt der Staat die Kosten, ist es erfolgreich, verbleiben die Gewinne bei den privaten Investoren. Der Staat wiederum refinanziert sich im Erfolgsfall und kassiert drei Prozent Tantiemen von gewinnbringenden Start-ups.

    Und auch das Renewable Energy Technology Center für Entwicklungsprojekte im Segment erneuerbare Energien und Energieeffizienz mit einem Förderbudget bis zu 730’000 US-Dollar je Projekt ist effizient. Es umfasst die Bereiche Solarenergie, Windenergie, Geothermie, Brennstoffalternativen, Energieeffizienz, Smart Grid (Intelligentes Stromnetz) und Energiespeichertechnologie.

    Joël Ch. Wuethrich


    Israel ist ein Top-Testmarkt für innovative Produkte und Dienstleistungen. Hier wurden mehrere hundert Innovationen entwickelt, die jede/r von uns kennt: Vom ersten PC-Anti-Virus-Programm und USB Stick zum Beispiel bis zur Voice-over-internet-protocol-(VoIP)-Technologie oder auch Voice Mail und den Instant Messengern (1996!). Nicht zu vergessen: Die Armee Israels ist ein Hort für technologische Innovation, die auch für die zivilen Zwecke sehr nützlich sind. In der Medizintechnik gibt es unzählige Innovationen aus Israel wie beispielsweise der mittels Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführte hochintensive fokussierte Ultraschall (HIFU) und viele Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Das alles und noch viel mehr kommt aus Israel, wo knapp 8,5 Millionen Menschen leben. Also vergleichsweise ähnlich viele (oder eben wenige) wie in der Schweiz. Und dennoch hat dieses Land über 90 Firmen an die US-Börse Nasdaq gebracht. Das ist mehr als jedes andere ausser den USA und China (!). All dies ist nur möglich mit einer strukturellen Basis und Unternehmen, die sich auch als Inkubatoren verstehen. Inkubatoren bieten Existenzgründern im Rahmen einer Unternehmensgründung einen Mehrwert. Zum Beispiel in Form von «Gründerzentren», wo Beratung und Coaching angeboten wird und oftmals auch die Bereitstellung von Mietflächen oder ganzen Büroräumen sowie einer Infrastruktur-Ausstattung beinhalten. Einige dieser Unternehmen geben sowohl im Land wie auch international in ihrer Branche den Ton an.

    Vorheriger ArtikelEditorial von Dr. Philipp Gut
    Nächster ArtikelKampfzone Windkraft