Was uns der Fisch des Jahres 2022 sagen will

    Fisch des Jahres 2022 ist die Felche – der wichtigste Speisefisch der Schweiz und somit Existenzgrundlage der Berufsfischerei und beliebt bei Anglerinnen und Anglern. Warum hat sich der Schweizerische Fischerei-Verband für diesen gewöhnlichen Fisch entschieden?

    (Bild: David Bittner) Flechen haben mit zahlreichen Gefahren zu kämpfen und sind auf griffige Massnahmen von uns angewiesen.

    Die Antwort: Ganz einfach, weil uns die Felche zwei Dinge sagen will. Die Felche weist uns erstens darauf hin, wie vielfältig und reich eigentlich die Biodiversität in unserem Land sein könnte. Zweitens sagte uns die Felche: Ohne intakte und vitale Gewässer haben die anpassungsfähigsten Fische wenig Überlebenschancen. Was steht hinter diesen beiden Missionen?

    Die Schweiz ist eine Felchenhochburg
    Schweizer Gewässer beherbergen eine europaweit einzigartige Vielfalt von mindestens 24 genetisch, äusserlich und ökologisch unterscheidbaren Felchenarten. Viele dieser Arten sind endemisch, das heisst, sie kommen einzig und allein in den jeweiligen Seen und in unserem Land vor. In der Schweiz haben sich seit der letzten Eiszeit viele verschiedene Felchenarten entwickelt. In nur wenigen Tausend Jahren hat sich eine ursprünglich eingewanderte Felchenart an die verschiedenen ökologischen Nischen angepasst in Winter- und Sommerlaicher, langsam und schnellwachsende Felchen mit unterschiedlicher Ernährungsweise sowie Ufer- bis Tiefenlaicher von über 100 Meter Tiefe. Diese evolutiven Prozesse wiederholten sich in mehreren Seesystemen und bald unterschieden die eingesessenen Berufsfischer zwischen Kropfer, Balchen, Albeli und Co. Aber ausgerechnet dieser anpassungsfähige Fisch ist auch Opfer der sich verschlechternden Lebensbedingungen im Wasser. Aktuell hat es in der Schweiz noch 24 Arten, ein Drittel der Arten ist bereits ausgestorben. Diese Zahlen geben zu denken.

    Was den Felchen zu schaffen macht
    Da ist zunächst die übermässige Belastung mit Nährstoffen aus Siedlungs- und Landwirtschaft im 20. Jahrhundert, welche die Ökologie der meisten Seen stark verändert und ihrer ursprünglichen Artenvielfalt geschadet hat. Als Reaktion wurde seit den 1980er-Jahren der Eintrag des Pflanzennährstoffs Phosphor mit Einschränkungen und Kläranlagen rasch reduziert.

    Die fischereiliche Produktivität, die in vielen Seen durch die Eutrophierung zeitweise unnatürlich zunahm, ist heute wieder deutlich geringer. Auch Pestizide aus Landwirtschaft, Gärten und Unterhalt haben die Biomasse und Artenvielfalt von Insekten und anderen Wirbellosen auf dem Land und im Wasser bedrohlich verringert. Mikroverunreinigungen aus Industrie und Haushalt wie Medikamente beeinträchtigen alle Lebensphasen der Fische und der Wasserlebewesen, von denen sie sich ernähren.

    Klimawandel und «Gefahr von oben»
    Seit den 1960er-Jahren haben sich die durchschnittlichen Wassertemperaturen in Schweizer Seen um bis zu 3 Grad erhöht. Das verändert chemische und biologische Prozesse und in manchen Seen behindert es die Zirkulation, was zu Sauerstoffmangel in der Tiefe führt. Arten wie die Felchen, die an kaltes Wasser angepasst sind, werden durch die Erwärmung aus ihren bisherigen Lebensräumen verdrängt. Die Zunahme von Wetterextremen wie Hitzewellen und Hochwasser erhöht den Stress für angestammte Ökosysteme.

    Nichteinheimische Tierarten und fischfressende Vögel machen den einheimischen Fischen zusätzlich das Leben schwer. Die Bestände von fischfressenden Vögeln wie Kormoran, Gänsesäger und Graureiher sind dank Schutzmassnahmen stark gewachsen. Als Folge ist die Entnahme von Fischen enorm gestiegen. Das betrifft auch Populationen von stark gefährdeten Arten wie der Äsche. An einigen Schweizer Seen jagen mittlerweile mehrere tausend Kormorane und fressen jährlich hunderte Tonnen von Fisch.

    Beängstigende Zahlen
    In den 1990er Jahren wurden aus Schweizer Seen 1500 Tonnen Felchen gezogen, 2019 waren es noch 486 Tonnen. Zum Vergleich: Aktuell werden 80’000 Tonnen Fisch- und Meeresfrüchte importiert. Wenn wir in Zukunft weiterhin einheimische Felchenfilets auf unseren Tellern sehen wollen, müssen wir diesen Herausforderungen mit griffigen Massnahmen begegnen.

    Thomas Schläppi
    Schweizerischer Fischerei-Verband,
    Fachbereich Gewässerschutz und Fischerei

    Vorheriger ArtikelWinterliche Vielfalt auf dem Teller
    Nächster ArtikelEditorial von Dr. Philipp Gut